Wir haben vor ein paar Tagen (Wochen?) angefangen, Greys Anatomy noch einmal ganz von vorne anzuschauen. Alles noch einmal auf Anfang… mit dem Wissen von heute. Das ist ein Gefühl zwischen „Ähh… langweilig!“ und „Oh, darauf hab ich beim letzten Mal gar nicht geachtet.“ Genauso ist es, wenn man sich einen Film zum zweiten Mal anschaut. Man ändert seinen Blickwinkel und „entdeckt“ auf einmal ganz neue Sichtweisen.
Auf einmal sehe ich den Wunsch von Addison Montgomery, ein Baby haben zu wollen, mit ganz anderen Augen. Der Augenblick, als Naomi Bennett (Ihre beste Freundin aus dem Oceanside Wellness Center (Private Practice)) ihr sagt, sie sei unfruchtbar, da sie keine Eizellreserve mehr hat und ihr FSH-Wert zu hoch sei, „fühlt“ sich nun anders an. Ich weiß nun was es bedeutet und fühle in diesem Augenblick ein kleines Zwicken in der Magengegend. Ich weiß, dass eine niedrige Eizellreserve, verbunden mit einem erghöhten FSH-Wert die so ziemlich schlechteste Kombination ist, denn ein erhöhter FSH-Wert bedeutet, dass die Qualität der Eizellen schlecht ist. Wenn man eine ausreichende Anzahl an Eiern hat, ist es nicht sooo schlimm, da die Quantität die Qualität „ausgleichen“ kann. Aber so? Unsere 6. ICSI musste im Mai verschoben werden, denn der FSH-Wert war zu hoch. Nachdem ich einen Monat lang Phyto-L genommen habe, haben wir den Wert wieder senken können. Doch wie wird es bei unserem nächsten Versuch sein? Mein AMH-Wert ist von 0,16 (im Februar) auf 0,1 (im Oktober) gesunken, was bedeutet, dass ich mich freuen kann, wenn ich überhaupt noch einoder zwei Eier ausbrüte. Nicht, dass ich einen Zeitdruck verspüre (fragt mich nicht, warum), aber es lässt mich nachdenken.
Aber darum geht es gerade eigentlich gar nicht. Es geht eher darum, was ich ändern würde, wenn ich mein Leben noch einmal leben würde. Mit dem Wissen von heute. Natürlich gibt es viele Situationen, in denen ich mir nachträglich gewünscht habe, sie noch einmal erleben zu dürfen, um mich anders zu verhalten / zu entscheiden (der erste Freund, meine Frisur in den 90ern, der eine oder andere ONS / die eine oder andere Beziehung, das Studium, die Entscheidung Latein oder Französich, und und und). Aber was wäre dann? Ich wäre wahrscheinlich heute mit einem anderen Mann zusammen, hätte einen anderen Beruf und vielleicht auch schon ein Kind. Aber würde ich es wollen, wenn mir heute jemand dazu die Chance geben würde? Und an welchem Punkt würde ich gerne noch einmal anfangen? Und wisst Ihr was? Ich würde einen kurzen Augenblick darüber nachdenken. Und viele Situationen gedanklich durchgehen. Aber letztendlich? Würde ich das Angebot dankend ablehnen. Ich würde es ablehnen, weil ich im Grunde glücklich bin. Mit allem, was war!
Sicher, ich habe momentan keinen Job, hatte einen mobbenden Chef und einen Zusammenbruch deswegen. Ich habe Schlafprobleme und vielleicht werde ich auch nie ein Kind haben. Ich habe eine Oma, mit der ich schon seit über einer Woche kein Wort wechsel und evtl. sogar soweit gehen würde zu sagen, dass ich ohne meine Mama auch nie wieder Kontakt haben wollen würde. Ich habe einen Vater, der meinen Mann und meine Ehe grundlos ablehnt und dadurch in Kauf nimmt, dass er und ich uns vielleicht noch 4 Mal im Jahr sehen (obwohl er noch vor weniger als zwei Jahren) mit meine wichtigste Bezugsperson war), nämlich genau dann, wenn meine Brüder und ich uns treffen und Papa dazueinladen. Ich habe einen Opa, der engstirnig und auch mal verbal sehr fies werden kann (wie meine Oma). Ich habe eine Kindheit, die ich momentan beginne aufzuarbeiten (mit meiner Psychotherapeutin) und ich habe eine depressive Katze, die mir manchmal ganz schön den Nerv raubt.
Aaaber: ohne all das wäre ich nicht die, die ich heute bin. Ich habe gelernt, nicht mit jedem Mitleid haben zu müssen und (auch, wenn es mir verdammt schwer fällt) ich habe gelernt, loszulassen und dass jeder für sein Glück selbst verantwortlich ist. Ich bin feinfühlig, empathisch, selbstbewusst und weiß, was mir gut tut. Ich kaufe Obdachlosen gerne mal einen Kaffe, Hundefutter oder ein belegtes Brötchen. Ich bin traurig mit anderen und für andere und könnte weinen, wenn ich merke, wie einsam manchmal Leute im Grunde sind, aber ich weiß auch, dass nur sie es ändern können. Ich habe den besten Ehemann der Welt, mein Fels, der mir Halt gibt und mir (in so ziemlich allem) die Zeit gibt, die ich benötige. Er ist derjenige, der mich unterstützt, ohne auf seine eigenen Bedürfnisse zu verzichten. Ich habe Freunde, die ich um nichts in der Welt eintauschen möchte. Manche habe ich schon seit über 30 Jahren, andere erst seit knapp 2 Jahren. Ich habe eine Mama, die mit mir zusammen gegen den Rest der Welt ankämpfen würde, wenn es nötig wäre und, obwohl sie eigentlich genügend eigene „Dämonen“ zu bekämpfen hätte, ich immer an erster Stelle für sie komme.
Würde ich nun zu irgendeinem Augenblick in der Vergangenheit zurückgehen, um ihn zu ändern, wäre ich heute nicht die, die ich bin. Ich wäre nicht die Frau, die Freundin, die Tochter, die ich heute bin. Mein Schatz sagt immer: „Es wird niemals besser, nur anders!“ und damit hat er Recht. Meine Familie kann ich nicht ändern, die ist eben so verquert wie sie es ist. Meinen Mann will ich nicht ändern. Meine Freunde liegen mir (zum größten Teil) sehr am Herzen und diejenigen, bei denen das Verhältnis aus Geben und Nehmen nicht mehr stimmt, werden erstmal etwas vernachlässigt und evtl. irgendwann aussortiert. Am Projekt „Stöpselchen“ arbeiten wir weiterhin, aber es ist nicht Mittelpunkt unseres Lebens. Und an meiner beruflichen Situation arbeite ich derzeit hart. Und deshalb schreibe ich jetzt auch endlich noch die Bewerbungen, die ich schon das ganze Wochenende hätte schreiben wollen und werde mich morgen und die Tage darauf auf meine drei Vorstellungsgespräche die kommenden beiden Wochen vorbereiten. Ich habe nämlich das erste Mal „Hausaufgaben“ aufbekommen, soll eine Kennzahlenanalyse vorbeiten und sie 10 Minuten lang (plus Lösungsansatze für die definierten Pronleme) mit Hilfer einer PowerPointPräsentation präsentieren. Und wenn ich gleich mit den Bewerbungen fertig bin, werde ich mich in Bett kuscheln, meinen Mann umarmen und dankbar sein für das was ich habe und was ich bin…